das crazy –
Jugendsprache, Memes und die Illusion von Relevanz
Ein Essay über Tempo, Zugehörigkeit und warum Marken eher nicht „das crazy“ und schon gar nicht „YOLO“ sagen sollten.
Sprache als Bewegung
Sprache lebt.
Und Jugendsprache rennt.
Kein anderer kultureller Bereich wandelt sich so schnell – und so kollektiv.
Sie ist Soundtrack, Kommentar, Haltung, Abgrenzung und Humor – alles auf einmal.
Wörter entstehen, kippen, verschwinden.
Heute ist etwas peak, morgen schon mid.
„Sigma“ war gestern Haltung, heute nur noch Meme.
Was gestern noch cool war, klingt heute nach Dadjoke.
Und während Unternehmen noch über ihre Tonalität diskutieren,
hat die Jugend längst schon zehn neue Dialekte erfunden:
Von rizz bis no cap, von lowkey bis slay,
von save über drip bis talahons.
Jugendsprache ist keine Sprache – sie ist Geschwindigkeit in Vokabel-Form.
Von „dufte“ zu „rizz“
Jugendsprache ist kein Phänomen des 21. Jahrhunderts.
Sie war immer schon da – nur eben analoger.
Was früher dufte, knorke, pfundig oder prima war,
wurde später cool, krass oder geil.
Dann kamen Asi, Nullchecker, Digga, Alter, Junge, später Ehrenmann, crush, lost, cringe, sus, flex, rizz, skibidi toilet, NPC und 67.
Begleitet von Brainrot, Tung Tung Tung Sahur, Tralalero Tralala oder Trippi Troppi – Wörter, Sounds und Charaktere aus allen Ecken der Welt, von Bayern bis Italien, von Reddit bis TikTok.
Das klingt nach Chaos, ist aber kollektive Kreativität.
Sprache ist Zeitgeist auf Kurzstrecke.
Sie verdichtet, was eine Generation fühlt.
Und wie jedes Gefühl verliert sie an Bedeutung, sobald sie kopiert wird.
Wenn Erwachsene Jugendsprache nutzen,
entsteht selten Nähe – eher Fremdscham.
Wie ein Vater, der mit einem fetzigen „YOLO“ zeigen möchte,
dass er ja noch gar nicht zum alten Eisen gehört.
Staffelstab und Sprachmacht
Die heutige Jugend prägt Sprache –
und die Älteren schauen zu.
Früher waren es die Erwachsenen, die den Ton setzten,
heute müssen sie lernen, loszulassen.
Das ist ein Machtwechsel.
Der Staffelstab liegt bei denen,
die save, no front oder for real sagen.
Und wer kein Teil dieser Bewegung ist,
sollte sie nicht kommentieren – sondern aushalten.
Jugendsprache-Bashing funktioniert im Comedy-Programm immer ganz gut,
klingt aber schnell nach Gottschalks
„Ich versteh die jüngeren Generationen nicht mehr.“
Denn genau das will die Jugend:
Abgrenzung, Schock, Insiderwissen, Unverständnis.
Sie will nicht verstanden werden.
Das ist kein Fehler – das ist das System.
Viele Ältere reagieren mit Spott oder Hohn.
Sie stellen die Dummheit der Wörter zur Schau,
machen sich lustig über Grammatik oder Sinn.
Aber genau diese Reaktion ist Teil des Spiels.
Jugend will sich abgrenzen – und das funktioniert nur,
wenn jemand sich drüber aufregt.
Jugendsprache als Selbstbestimmung
Jugendsprache ist mehr als Trotz.
Sie ist der erste Akt von Selbstbestimmung – sprachliche Emanzipation.
Ein Generationenritual, das sagt:
„Wir sind da, und wir machen die Regeln neu.“
Wer Wörter erfindet, erfindet sich selbst.
Und wer sich sprachlich abgrenzt,
übt Unabhängigkeit ein – noch bevor sie gesellschaftlich zugestanden wird.
Jugendsprache ist also kein Zeichen von Rebellion,
sondern von Reife.
Sie ist der Moment, in dem junge Menschen begreifen,
dass man Wirklichkeit auch mit Worten verändern kann.
Und während ältere Generationen sich wundern oder abwehren,
merken die Jüngeren:
Sie können Sprache gestalten – und damit Identität.
Das ist Coming of Age – nur eben in Hashtags, Memes und Slang.
Susanne Daubner – die Königin der kulturellen Kluft
Niemand verkörpert diesen Generationen-Clash besser
als Susanne Daubner in der Tagesschau.
Wenn sie jedes Jahr das „Jugendwort des Jahres“
in unerschütterlicher Seriosität verkündet –
„Rizz… bedeutet Charme oder Anziehungskraft…“ –
dann trifft Pop auf Protokoll.
Ironie auf Ernst.
Sie ist das Symbol einer Gesellschaft,
die versucht nachzuvollziehen, was sie nicht mehr mitfühlt.
Und plötzlich wird aus einem Wort ein Zeitdokument.
Sie zeigt unfreiwillig, was Sprache ausmacht:
die Distanz zwischen denen, die sie erschaffen,
und denen, die sie erklären müssen.
Wenn Werbung zu sehr will
Viele Unternehmen können der Versuchung nicht widerstehen,
Jugendsprache zu instrumentalisieren.
„Vong Sparkasse her“ oder „I bims Vodafone“ – das gab’s wirklich.
Jugendsprache in Werbung ist fast immer peinlich und nervt.
Warum?
Weil sie nicht verbindet, sondern abgrenzt.
Sie ist ein Code der Zugehörigkeit – und damit auch des Ausschlusses.
Wer nicht dazugehört, soll es merken.
Und wenn ausgerechnet diejenigen,
von denen man sich abgrenzen will,
den Code nachsprechen,
dann wird’s nicht authentisch – sondern cringe.
Die Ausnahme, die die Regel bestätigt
Natürlich gibt’s Ausnahmen.
Das Autohaus Bleuel zum Beispiel:
Ein Chef, der mit Jugendwörtern ungelenk und wild um sich wirft –
so weird, dass seine Videos schon wieder Kultstatus haben.
Jeweils um die 30.000 Follower auf TikTok und Instagram.
Das ist keine Strategie, das ist Eskalation mit Absicht.
Die Fallhöhe ist so hoch, dass sie in Ironie kippt.
So schlecht, dass es schon wieder gut ist.
Jugendliche feiern das,
weil sie die Ironie erkennen –
und Erwachsene, weil sie sie ertragen.
Zwischen Sprache und Strategie
Marken sollten sich bewusst sein:
Jugendsprache ist kein Werkzeug zur Ansprache,
sondern ein Symbol der Abgrenzung.
Sie schafft Gruppen, keine Brücken.
Werbung hingegen muss – zumindest teilweise –
auch außerhalb der Zielgruppe funktionieren.
Wenn du kein Teil der Bubble bist,
dann versuch nicht, ihren Dialekt zu sprechen.
Hör lieber zu, was er bedeutet.
Jugendsprache ist kein Trend,
sondern ein emotionaler Barometer.
Was Marken daraus lernen können
Sprache ist Zugehörigkeit.
Und Zugehörigkeit kann man nicht vortäuschen.
Marken müssen Jugendsprache nicht sprechen –
sie müssen sie verstehen.
Denn hinter jedem delulu, side eye und skibidi
steckt eine Haltung:
Ironie, Überforderung, Selbstschutz, Humor, Tempo.
Jugendsprache ist Memekultur in Worten –
ein emotionaler Schnellkommentar zur Welt.
Und genau das sollten Marken lernen:
Nicht alles nachsprechen, was man versteht,
aber alles verstehen, worüber gesprochen wird.
fazit
Jugendsprache ist kein Chaos, sondern Kultur.
Sie ist Spiegel, Spiel und Schutz zugleich.
Und sie erinnert uns daran:
Sprache gehört immer denen, die sie verändern.
Die Aufgabe der anderen ist nicht, sie zu erklären –
sondern sie auszuhalten.
Die Ironie: Hier über Jugendsprache zu sinnieren, ist ja auch schon wieder lost.
Schere.
Achtung, prüfungsrelevant!
Wer’s verstanden hat, darf jetzt ins Wochenende.
Bis nächsten Freitag – Baba Bubble 🫧
#brandlyfriday ist Bubbles wöchentlicher Brandbrief zum Wochenende.
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